Arbeiten trotz Krankheit
Arbeiten trotz Erkrankung (Präsentismus) ist ein aktuelles Phänomen der modernen Arbeitswelt, welches nicht zuletzt durch die vermehrte Arbeit von zu Hause eine neue Relevanz erhält. Die genaue Verbreitung lässt sich nur näherungsweise bestimmen, ebenso wie die Kosten durch Produktivitätsverluste und durch die mögliche Chronifizierung von Krankheiten.
Eine häufig genutzte Kennzahl, um Aussagen über den Gesundheitszustand von Beschäftigten zu treffen, sind die Arbeitsunfähigkeitstage. Damit sind Tage gemeint, an denen Beschäftigte aufgrund einer Erkrankung zu Hause bleiben. Man spricht auch von Absentismus. Häufig arbeiten Beschäftigte aber auch trotz einer Erkrankung, entweder von zuhause aus oder vor Ort. Das Arbeiten trotz Erkrankung wird auch Präsentismus (Englisch: sickness presenteeism) genannt.
Präsentismus ist ein Indikator für den Gesundheitszustand, der im Gegensatz zu ärztlichen Krankschreibungen bisher noch nicht systematisch erfasst wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Begriff Präsentismus bisher nicht einheitlich definiert ist und es bislang auch noch keine einheitlichen Handlungskonzepte zum Umgang gibt.
Im Zuge der COVID-19-Pandemie ist Präsentismus und damit die Frage, wie und warum Menschen sich entscheiden, trotz Krankheit zu arbeiten, noch einmal stärker in den Fokus gerückt. Einerseits ist das Bewusstsein für das Gesundheitsverhalten am Arbeitsplatz aufgrund der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus gestiegen. Andererseits haben die Verbreitung und das Ausmaß der Arbeit von zuhause im Zuge der Pandemie stark zugenommen. Dies hat auch Auswirkungen auf das Arbeiten im Krankheitsfall. So zeigte eine Studie der BAuA bereits vor der Pandemie, dass Beschäftigte, die häufig von zuhause arbeiten, auch eher Präsentismus zeigen, d.h. sie arbeiten, obwohl sie krank sind. Dieses vergleichswiese neue Phänomen wird auch Tele-Präsentismus oder virtueller Präsentismus genannt. Die BAuA vertieft aktuell ihre Forschung zum Präsentismus in digitalen Arbeitskontexten.
Arbeiten Beschäftigte trotz einer Erkältung, Schmerzen oder anderen Erkrankungen, sei es von zu Hause oder am Arbeitsplatz, kann dies grundsätzlich aus verschiedenen Gründen geschehen. Um einen fundierten Überblick über dieses Phänomen zu bekommen, wurde im Auftrag der BAuA ein Review zur Aufarbeitung des Wissensstandes zum Thema erstellt.
Im Blick der Forschung: das Verhalten der Beschäftigten und die Produktivitätsverluste
Grundsätzlich lassen sich zwei Hauptstränge in der Forschung zu Präsentismus erkennen: Studien aus Europa legen ihren Fokus auf das Verhalten von Beschäftigten, trotz Erkrankung zur Arbeit zu gehen. Hier untersuchen die Autorinnen und Autoren der Studien vor allem Ursachen und Einflussfaktoren des Verhaltens sowie dessen gesundheitliche Folgen. Das Arbeiten trotz Krankheit kann in bestimmten Fällen auch funktionell sein, z. B. wenn im Falle leichter Krankheitssymptome die Übertragung einer ansteckenden Krankheit verhindert werden kann oder die Beschäftigungsfähigkeit im Falle einer chronischen Erkrankung erhalten werden kann.
Hinsichtlich der Gesundheit zeigt sich jedoch, dass Präsentismus bei einem eher schlechten Gesundheitszustand langfristig das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen Präsentismus und Langzeit-Arbeitsunfähigkeit hin. Doch es gibt auch Hinweise, dass sich Präsentismus positiv auswirken kann, beispielsweise bei bestimmten chronischen Muskel-Skelett-Erkrankungen.
Insbesondere nordamerikanische Studien beschäftigen sich hingegen mit den Produktivitätsverlusten, die sich aus gesundheitlichen Beschwerden bei der Arbeit ergeben. Da in den USA bereits länger der Einfluss von Erkrankungen auf die Produktivität untersucht wird, lassen sich deutlich bessere Aussagen zur Qualität der Messverfahren treffen. Betriebswirtschaftlich gesehen sind die Kosten, die durch Präsentismus entstehen, mindestens so hoch wie die Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten.