Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Biostoffen

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Ermittlung und Beurteilung

Gefährdungsbeurteilung bei Schutzstufentätigkeiten

Tätigkeiten, mit Biostoffen in Laboratorien, in der Versuchstierhaltung, in der Biotechnologie und in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes werden als Schutzstufentätigkeiten bezeichnet. In diesen Arbeitsbereichen vorkommende Biostoffe sind i. d. R. bekannt oder zumindest hinreichend bestimmbar.

Die Zuordnung der Schutzstufe erfolgt tätigkeitsbezogen. Unterschieden wird dabei, ob gezielte oder nicht-gezielte Tätigkeiten durchgeführt werden. Gezielte Tätigkeiten liegen vor, wenn i) der Biostoff der Art nach bekannt ist, ii) die Tätigkeiten auf den Biostoff ausgerichtet sind und iii) das Ausmaß der Exposition gegenüber dem Biostoff im Normalbetrieb hinreichend bekannt oder abschätzbar ist. Tätigkeiten wie die Kultivierung charakterisierter Mikroorganismen und deren Weiterverarbeitung sind typischerweise gezielt. Die Schutzstufe ist dabei an die Risikogruppe gebunden, wobei die Schutzstufe dem Biostoff der höchsten Risikogruppe entspricht. Nicht gezielte Tätigkeiten liegen vor, wenn mindestens eines der drei Kriterien für gezielte Tätigkeiten nicht erfüllt ist. Dies kann z. B. bei der Untersuchung humaner und tierischer Probenmaterialien wie Blut, Urin, Stuhl, Gewebe zutreffen. Typisch für nicht gezielte Tätigkeiten ist, dass an diesen Arbeitsplätzen Biostoffe in unbekannter Menge und Zusammensetzung vorkommen, die Tätigkeit aber nicht auf diese Biostoffe ausgerichtet ist. Die Schutzstufe richtet sich hier nach dem Grad der Infektionsgefährdung und nicht unbedingt nach dem Biostoff der höchsten Risikogruppe.

Informationsbeschaffung

Da Gefährdungen tätigkeitsbezogen sehr unterschiedlich sein können, sind Betriebsabläufe, Arbeitsverfahren, Tätigkeiten und Arbeitsmittel zu erfassen. Es muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang Beschäftigte mit Biostoffen exponiert sind.

Da der gezielte Umgang mit Biostoffen voraussetzt, dass sich Tätigkeiten unmittelbar auf charakterisierte Biostoffe ausrichten, ist die Exposition im Normalbetrieb damit hinreichend bekannt oder kann zumindest abgeschätzt werden.

Das kann mitunter auch bei nicht gezielten Tätigkeiten vorkommen wie z. B. bei der Bearbeitung von Proben, deren Infektionsstatus bekannt ist. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob Erkenntnisse über Gefährdungen, Belastungs- und Expositionssituationen einschließlich psychischer Belastungen, tätigkeitsbedingte Erkrankungen und Gegenmaßnahmen sowie Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge der Biostoffe aus vergleichbaren Tätigkeiten vorliegen. Für die Gefährdungsbeurteilung insgesamt sind die Eigenschaften des Biostoffs wie Risikogruppe, erregerspezifische Übertragungswege, mögliche sensibilisierende und toxische Wirkungen und sofern verfügbar, weitere spezifische Informationen, wie z. B. Infektionsdosis, infektiöse Stadien etc. der bekannten und möglicherweise vorkommenden Biostoffe zu ermitteln. 

Schutzmaßnahmen

Basierend auf der Schutzstufe erfolgt die Festlegung entsprechender Schutzmaßnahmen wie baulich-technische, organisatorische und personenbezogene Maßnahmen sowie Hygienemaßnahmen. Dabei muss beachtet werden, dass sensibilisierende und toxische Eigenschaften der Biostoffe über die Schutzstufe nicht erfasst werden, bei bestimmten Tätigkeiten wie z. B. Verwendung von Biostoffen der Risikogruppe 1 mit toxischen und/oder sensibilisierenden Eigenschaften aber durchaus ein Gefährdungspotential darstellen können.

Werden Tätigkeiten mit Biostoffen der Risikogruppe 1 ohne sensibilisierende und toxische Eigenschaften durchgeführt, reichen die allgemeinen Hygienevorschriften gemäß BioStoffV und TRBA 500 aus. Für Tätigkeiten mit Biostoffen der Risikogruppen 2, 3 und 4 müssen ergänzende Schutzmaßnahmen getroffen werden, die geeignet sind, um die Exposition der Beschäftigten zu minimieren (RG 2), zu verhindern (RG3) und sicher zu verhindern (RG4). 

Hilfestellung bei der Gefährdungsbeurteilung finden sich in den branchentypischen Technischen Regeln TRBA 100 Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in Laboratorien, TRBA 110 Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Biostoffen in der biotechnologischen Produktion von Biopharmazeutika, Diagnostika und Impfstoffen, TRBA 120 Versuchstierhaltung sowie § 10 BioStoffV und bei Tätigkeiten in Einrichtungen des Gesundheitsdiensts finden in der TRBA 250 und § 11 BioStoffV. 

Gefährdungsbeurteilung bei Nicht-Schutzstufentätigkeiten

Tätigkeiten in Bereichen mit einem vergleichsweise auch hohen sensibilisierenden/allergenen und toxischen Potenzial, wie z. B. in der Land- oder Abfallwirtschaft benötigen andere Bewertungskriterien als die auf einer Infektionsgefährdung beruhenden Risikogruppeneinstufung der Biostoffe. In der TRBA 400 werden Festlegungen in Form von Konventionen gemacht, um die Höhe, die Dauer und die Häufigkeit einer Belastung anhand konkreter Vorgaben zu beurteilen und daraus Anforderungen an die Schutzmaßnahmen abzuleiten. 

Konvention zur Beurteilung der Infektionsgefährdung bei Nicht-Schutzstufentätigkeiten

Das Risiko berufsbedingter Infektionen bei Nicht-Schutzstufentätigkeiten (z. B. in der Landwirtschaft) bemisst sich wie auch bei Schutzstufentätigkeiten (z. B. im Gesundheitswesen) an der Risikogruppe vorkommender Infektionserreger. Hinzu kommen bei Nicht-Schutzstufentätigkeiten teilweise dominierende allergene und toxische Gefährdungen.

Per Konvention werden zwei Stufen einer Infektionsgefährdung definiert:

Keine oder eine vernachlässigbare Infektionsgefährdung

  • In diesem Fall kommen Biostoffe der Risikogruppen 1 oder 2 am Arbeitsplatz vor, die Exposition aber ist unwahrscheinlich oder gering,

oder

  • es ist von einer Exposition gegenüber Biostoffen der Risikogruppen 1 oder 2 auszugehen, aber es liegen bislang keine Erkenntnisse zum Auftreten berufsbedingter Infektionskrankheiten auch nicht bei vergleichbaren Tätigkeiten vor.

Eine Infektionsgefährdung ist vorhanden

  • In diesem Fall kommen Biostoffe der Risikogruppe 2 am Arbeitsplatz vor und es gibt Erkenntnisse zum Auftreten berufsbedingter Infektionskrankheiten bei diesen oder vergleichbaren Tätigkeiten,

oder

  • es ist mit einer Exposition gegenüber Biostoffen der Risikogruppe 3 zu rechnen.

Als Konsequenz der Feststellung einer Stufe der Infektionsgefährdung ergeben sich folgende Anforderungen an die Schutzmaßnahmen:

Anforderungen an die Schutzmaßnahmen

Wenn keine oder eine vernachlässigbare Infektionsgefährdung festgestellt wird, sind allgemeine Hygienemaßnahmen gemäß § 9 Abs.1 BioStoffV ausreichend.

Ist durch Biostoffe am Arbeitsplatz eine Infektionsgefährdung vorhanden, sind baulich-technische Schutzmaßnahmen, organisatorische Schutzmaßnahmen und personenbezogene Schutzmaßnahmen, wie Bereitstellung von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) zu ergreifen, die die potentielle Exposition Beschäftigter minimieren oder verhindern. 

Konvention zur Beurteilung einer sensibilisierenden und toxischen Gefährdung bei Nicht-Schutzstufentätigkeiten

Bei Nicht-Schutzstufentätigkeiten steht die sensibilisierende / toxische Wirkung gegenüber einer infektiösen Wirkung oftmals im Vordergrund. Am Arbeitsplatz sind es insbesondere die luftgetragenen Biostoffe oder deren Bestandteile und Stoffwechselprodukte, von denen eine Gefährdung ausgehen kann. Sensibilisierende Biostoffe in hoher Konzentration über lange Zeit und wiederholt eingeatmet, können zur Sensibilisierung und in der Folge zu allergischen Atemwegserkrankungen führen. Toxisch wirkende Biostoffe können systemische oder lokale Effekte (z. B. des Atemtrakts, der Augenschleimhäute) bewirken. Ein prominentes Beispiel für toxisch wirkende Zellwandbestanteile sind die Endotoxine einiger gramnegativer Bakterien mit einer bekanntermaßen inhalationstoxischen Wirkung.

Es ist davon auszugehen, dass die sensibilisierende und toxische Gefährdung mit der Höhe der Exposition, ihrer Dauer und der Häufigkeit steigt. Grenzwerte als Bewertungsmaßstab gibt es für Biostoffe oder deren Bestandteile keine.

Expositionsstufen

Für die die Beurteilung der Höhe der Exposition gegenüber sensibilisierend und toxisch wirkenden Biostoffen können Messwerte für luftgetragene Schimmelpilze und Endotoxine herangezogen werden. Für beide Parameter liegen umfangreiche Messergebnisse auf Grundlage standardisierter Messverfahren von einer Vielzahl von Tätigkeiten vor. Für luftgetragene Schimmelpilze haben Messungen gezeigt, dass deren Konzentration in Abhängigkeit von Arbeitsplätzen und Tätigkeiten in einem weiten Bereich von natürlicher Hintergrundexposition von etwa 10³ KBE/m³ bis über 109 KBE/m³ Luft schwanken kann. Bei luftgetragenen Endotoxinen wurden an besonders belasteten Arbeitsplätzen Konzentrationen von bis 105 Endotoxin-Einheiten/m3 (EU/m³) gemessen, während bis zu 10 EU/m³ als natürliche Hintergrundkonzentration eingeordnet wird. Bakterielle Exotoxine (Peptide oder Proteine die von Bakterien abgesondert werden und so toxische Wirkungen vermitteln) oder Mykotoxine der Pilze werden bislang bei der Bewertung von Expositionen nicht berücksichtigt. Die Konzentrationen von Biostoffen unterliegen zeitlichen und räumlichen Schwankungen. Summenparameter spiegeln nicht die Pathogenität der Einzelbestandteile wider.

Um die Höhe der tätigkeitsbedingten Exposition gegenüber sensibilisierenden oder toxischen Biostoffen in der Luft am Arbeitsplatz beurteilen zu können, wird aktuell der Konzentrationsbereich, der an Arbeitsplätzen gemessen wurde, in drei Expositionsstufen unterteilt, beginnend eine Größenordnung über der Hintergrundbelastung (Tab. 4.1). Expositionsstufen sind nicht gesundheitsbasiert. 

Tab.4.1 Konvention zur Bewertung der Expositionshöhe luftgetragener Biostoffe, Messung nach IFA-Arbeitsmappe der Schimmelpilze Kennzahl 9420, der Endotoxine Kennzahl 9450.

Luftgetragener BiostoffeExpositionsstufe
ErhöhtHochSehr hoch
Schimmelpilze104 bis 105 KBE/m³105 bis 106 KBE/m³> 106 KBE/m³
Endotoxine10² bis 10³ EU/m³103 bis 104 EU/m³> 104 EU/m³

Da es für Biostoffe keine Messverpflichtung gibt und mitunter auch für vergleichbare Tätigkeiten keine Messwerte für Schimmelpilze oder Endotoxine vorliegen, gibt es die Option anhand von Materialeigenschaften, Tätigkeits- und Arbeitsplatzfaktoren die Expositionsstufen abzuschätzen (Punkt 5.4.1 TRBA 400). 

Expositionsdauer und -häufigkeit

So wenig wie es für die Expositionshöhe gesundheitsbasierte Grenzwerte gibt, die für die Beurteilung verwendet werden könnten, so wenig gibt es gesundheitsbasierte Aussagen, ab welcher Dauer oder Häufigkeit eine gesundheitsgefährdende Exposition eintritt. Deshalb werden auch für diese beiden Expositionskriterien Festlegungen in Form von Konventionen getroffen (Tab. 4.2).

Tab. 4.2 Konvention zur Beurteilung der Expositionszeit nach TRBA 400.

Tab. 4.2 Konvention zur Beurteilung der Expositionszeit nach TRBA 400

Für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit sensibilisierend und toxisch wirkenden Biostoffen werden die Expositionsstufe und die Expositionszeit zur Gefährdungsstufe zusammengefasst (Tab. 4.3).
 
Tab. 4.3 Ableitung von Gefährdungsstufen für Tätigkeiten mit sensibilisierend und toxisch wirkenden Biostoffen.

Tab. 4.3 Ableitung von Gefährdungsstufen für Tätigkeiten mit sensibilisierend und toxisch wirkenden Biostoffen

Anforderungen an die Schutzmaßnahmen

Als Folge der Feststellung der Gefährdungsstufen ergeben sich folgende Anforderungen an die Schutzmaßnahmen:

a) Erhöhte Gefährdung durch sensibilisierende und toxische Biostoffe

Zusätzlich zu den Hygienemaßnahmen nach § 9 BioStoffV Absatz 1 sind die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen so auszuwählen, dass die Exposition der Beschäftigten minimiert wird. 

Es ist zu prüfen, ob darüber hinaus auch technische oder bauliche Maßnahmen zu realisieren sind, sofern diese Maßnahmen mit angemessenem Aufwand umsetzbar sind. 

Sind die vorgenannten Maßnahmen nicht ausreichend, kann das Tragen von PSA zusätzlich erforderlich sein (Tab. 4.4). 

b) Hohe Gefährdung durch sensibilisierende und toxische Biostoffe

Zusätzlich zu den allgemeinen Hygienemaßnahmen nach § 9 BioStoffV Absatz 1 sind bauliche, technische oder organisatorische Maßnahmen so auszuwählen, dass eine Exposition verhindert wird oder mindestens um eine Gefährdungsstufe verringert wird. Ist das nicht erreichbar, ist den Beschäftigten geeignete PSA (Tab. 4.4) zur Verfügung zu stellen. 

c) Sehr hohe Gefährdung durch sensibilisierende und toxische Biostoffe

Zusätzlich zu den allgemeinen Hygienemaßnahmen nach § 9 Absatz 1 BioStoffV sind bauliche, technische oder organisatorische Maßnahmen so auszuwählen, dass eine Exposition verhindert wird oder die Exposition mindestens um zwei Gefährdungsstufen verringert wird.  Ist das nicht erreichbar, ist den Beschäftigten geeignete PSA (Tab. 4.4) zur Verfügung zu stellen. 

Tab. 4.4 Persönliche Schutzausrüstung, geeignet für die jeweiligen Übertragungswege nach Stellungnahme des ABAS "Kriterien zur Auswahl der PSA bei Gefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe" (Beschluss 45/2011)

ÜbertrgragungswegGeeignete persönliche Schutzausrüstung
MundAtemschutz, Mund-Nasen-Schutz (MNS)*, Gesichtsschutz
HautHandschutz, Schutzkleidung, Fußschutz
SchleimhautAugen- Gesichtsschutz, Mund-Nasen-Schutz, Atemschutz
AtemwegeAtemschutz

* Hinweis: MNS ist kein Atemschutz. Er kann als Berührungsschutz zur Verhinderung von Schmierinfektionen des Trägers beitragen. MNS schützt nicht vor Inhalation von Aerosolen.

Berücksichtigung psychischer Belastungsfaktoren bei der Gefährdungsbeurteilung von Biostoffen

Akuter und chronischer psychischer Stress kann die Gefährdung durch Biostoffe beeinflussen. Akuter Stress kann zu nicht sicherheitsgerechtem Verhalten sowie durch Angst zu Unsicherheit beim Handeln führen. Folge davon sind nicht selten Unfälle oder Verletzungen, durch die Biostoffe in den Körper gelangen können. Psychische Belastungen führen über die Aktivierung von Regelkreisen, die Sympathikus–Nebennierenmark-Achse und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden–Achse zur Ausschüttung von Hormonen. Diese Hormone, speziell Adrenalin und Cortisol beeinflussen das zelluläre Immunsystem. Psychische Dauerbelastungen können zur veränderten Immunabwehr bei einem Biostoff-belasteten Beschäftigten führen.

Abb. 4.3 Gefährdungen durch Biostoffe unter dem Einfluss psychischer Belastungen.

Für die Gefährdungsbeurteilung von Biostoffen müssen relevante psychische Belastungsfaktoren beachtet werden. Sie können im Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation stehen z. B. bei schlecht abgestimmter Schichtarbeit. Darüber hinaus können sie beispielsweise durch Lärm oder unzureichende Beleuchtung in der Arbeitsumgebung auftreten, aber auch im Zusammenhang mit der Arbeitsaufgabe, was z. B. bei unzureichender Qualifikation für die Aufgabe auftreten kann. Es müssen aber auch beruflich-soziale Beziehungen wie sie z. B. bei Mängeln in der Führungskultur auftreten, beachtet werden.

Die psychischen Belastungsfaktoren bei Tätigkeiten mit Biostoffen sind gemäß TRBA 400 zu erfassen und angemessene Maßnahmen zu treffen.

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