Arbeit mit Menschen besser verstehen

In den Arbeitswissenschaften kommt zur Analyse, Bewertung und Gestaltung von Arbeitssystemen häufig das Konzept "Mensch-Technik-Organisation" (MTO-Konzept) zum Einsatz. Ein Forscherinnenteam der BAuA hat dieses Modell nun um eine weitere Komponente erweitert: den "organisationsexternen Menschen" (Me). Diese Ergänzung soll die Abbildung personenbezogener Tätigkeiten anhand des Konzeptes verbessern.

Pflegekraft unterstützt Senioren beim Ankleiden
© iStock/Halfpoint

Ursprung, Grundannahmen und Grenzen des MTO-Konzeptes

Das Konzept "Mensch-Technik-Organisation" (MTO) stammt aus dem Umfeld der "soziotechnischen Systemgestaltung". Dieser Ansatz hat sich seit den 50er- bzw. 60er-Jahren in den Arbeitswissenschaften durchgesetzt: Unternehmen, Behörden und Einrichtungen müssen als dynamische und komplexe Systeme betrachtet werden. Grundlage des MTO-Konzepts ist die Überzeugung, dass die Teilsysteme Mensch, Technik und Organisation durch die Arbeitsaufgabe verknüpft sind und aufeinander einwirken. In den 90er-Jahren wurde das Konzept von den Arbeitspsychologen Oliver Strohm und Eberhard Ulich erstmals veröffentlicht.

Bislang werden drei Teilsysteme unterschieden:

  • M: das soziale Teilsystem, d. h. der erwerbstätige Mensch oder die erwerbstätigen Menschen
  • T: das technische Teilsystem, d. h. die Maschinen, Hilfs- und Arbeitsmittel, die notwendig sind, um die Arbeitsaufgabe zu erfüllen; zum Beispiel Fräsen, Flurfördergeräte, Büro-Software oder Lifter
  • O: die Organisation, d. h. der Aufbau und die Abläufe im Unternehmen, in der Behörde oder Einrichtung, in welcher die Arbeitsaufgabe erledigt wird; die Art und Weise der Arbeitsteilung, die Vollständigkeit der Arbeitsaufgaben etc.

Damit die jeweilige Arbeitsaufgabe erledigt werden kann, müssen die Teile des Arbeitssystems gut aufeinander abgestimmt sein. Zugleich bestimmen die drei Teilsysteme für sich genommen, aber auch in ihrem Zusammenwirken (MT, TO, OM) die konkreten Arbeitsbedingungen für den erwerbstätigen Menschen. Das MTO-Konzept ist für die Arbeitsgestaltung von großer Bedeutung, da es einen ganzheitlichen Blick ermöglicht, gleichzeitig aber auch Unterschiede gut abbildet.

Seit der Entwicklung des MTO-Konzeptes hat sich die Arbeitswelt stetig verändert. Unter anderem hat der Anteil Erwerbstätiger im Dienstleistungssektor stark zugenommen: Arbeiteten 1970 dort noch lediglich 45 Prozent der Erwerbstätigen, waren es 2020 bereits 75 Prozent. Die für viele Dienstleistungsberufe typischen personenbezogenen Tätigkeiten lassen sich mit dem bisherigen MTO-Konzept jedoch nur bedingt abbilden. Es fehlt das vierte Teilsystem: der organisationsexterne Mensch – z. B. die Patientin oder der Kunde – auf den diese Tätigkeit gerichtet ist und der diese Tätigkeiten sowie die damit verbundenen Anforderungen sehr stark prägt. Dies war bislang ein "blinder Fleck" im MTO-Konzept.

Arbeitsgegenstand Mensch – ein Alleinstellungsmerkmal personenbezogener Tätigkeiten

Bei personenbezogenen Tätigkeiten ist der Arbeitsgegenstand ein Mensch. Beratungs-, Lehr- und Verkaufstätigkeiten gehören ebenso dazu wie pflegerische, therapeutische oder künstlerische Tätigkeiten. Bei all diesen Tätigkeiten besteht das Ziel darin, Veränderungen an und mit organisationsexternen Menschen (Me) herbeizuführen – z. B. bezüglich physischer und psychischer Zustände oder des Verhaltens. Damit entstehen – und das ist die wesentliche und notwendige Erweiterung des MTO-Konzeptes – neue, zusätzliche Schnittmengen:

  • MTMe: zwischen dem oder den erwerbstätigen Menschen, der Technologie und dem organisationexternen Menschen
  • TOMe: zwischen der zum Einsatz kommenden Technologie, der Organisation und dem organisationsexternen Menschen sowie
  • OMMe: zwischen der Organisation, dem oder den erwerbstätigen Menschen und dem organisationsexternen Menschen.

Grafische Darstellung des erweiterten MTO-Konzepts
Grafische Darstellung des erweitertes MTO-Konzepts © BAuA

Diese Schnittmengen dürfen nicht länger außer Acht bleiben. Sie haben bedeutsamen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen sowie auf die Anforderungen, die an den erwerbstätigen Menschen gestellt werden.

Ein Beispiel aus der ambulanten Pflege veranschaulicht dies für die Schnittmenge OMMe: Aus Sicht der Organisation (Arbeitsabläufe bzw. Arbeitszeitmodell) sowie der Pflegenden (Vereinbarkeit der Lebensbereiche) wäre es vorteilhaft, die Tourenplanung so auszurichten, dass die Wege zwischen den Kundinnen und Kunden einer Tour möglichst kurz sind. Zugleich sollte der Tourenbeginn so liegen, dass der oder die Pflegende vor Schichtbeginn noch die schulpflichtigen Kinder wecken und versorgen kann. Nun sind aber auch die Interessen und Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden, d. h. der organisationsexternen Menschen zu beachten. Wann steht wer in der Regel auf? Was ist eine gute, was eine zu späte Zeit für die erweiterte kleine Grundpflege am Morgen? Diese müssen in die organisatorischen Abläufe und damit auch in der konkreten Ausgestaltung der Pflegearbeit integriert werden, sodass sich für alle Beteiligten eine gute Lösung ergibt.

Für die Arbeitsgestaltung bei personenbezogenen Tätigkeiten ist die Berücksichtigung des vierten Teilsystems "Me" bzw. der damit verbundenen zusätzlichen Schnittmengen substanziell, um die Arbeit menschengerecht zu gestalten. Zugleich gewinnen die Herausforderungen für eine gute Arbeitsgestaltung dadurch an Komplexität und Dynamik – auch und insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung.

Auch beim Einsatz digitaler Technologien müssen nicht nur deren Wirkungen auf den erwerbstätigen Menschen, sondern auch ihre potenziellen Effekte auf den externen Menschen und deren Rückwirkungen auf die Interaktion beachtet und analysiert werden (Schnittmenge MTMe). Geschieht dies nicht, kann das zusätzliche Belastungen und unerwünschte Beanspruchungen zur Folge haben.