Ein Sprung ins kalte Wasser

Wie bekommt man als Nachwuchsforscherin bei komplexen aktuellen Themen einen Fuß in die Tür?
Ein Beitrag von Marina Klostermann

Person macht Kopfsprung in grün-blaues Wasser, ausgestreckte Beine ragen aus dem Wasser heraus
© Unsplash | Alexandros Giannakakis

Ich drehe die Zeit zurück, denn ich begebe mich an einen Zeitpunkt im Herbst 2022: mein Einstieg in die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in der KI-Nachwuchsforschungsgruppe. Ich hatte mich bisher in meiner Forschung mit den Themen der Automation und Digitalisierung im Zusammenhang von Kompetenzverlust und Kompetenzerweiterung von Arbeitnehmenden beschäftigt. Zugegeben: Ich hatte den neuen Themenschwerpunkt Künstliche Intelligenz (KI) zu Anfang unterschätzt – hatte ich mich doch vorher bereits mit hoher Automatisierung in der Forschung auseinandergesetzt, und die ist doch nicht viel anders als KI … oder doch?

Austausch statt Kopfschmerzen

Ein dreiviertel Jahr später, unzählige Artikel und Informationen zu KI-basierten Lernsystemen reicher, saß ich an meinem Schreibtisch und grübelte über folgende Fragestellungen nach:

  • Werden KI-basierte Lernsysteme schon in der Praxis eingesetzt und welche KI-Verfahren steckt dahinter?
  • Wie müssen KI-basierte Lernsysteme bestmöglich für die Nutzenden gestaltet sein, damit diese beim Lernen auch tatsächlich unterstützen?

Denn, wie ich in dieser Zeit feststellte, war der Markt für KI-basierte Lernsysteme intransparent. Als das Grübeln schon fast in Kopfschmerzen überging, kam mir eine Idee: Ich könnte doch die Personen, die diese unzähligen lesenswerten Artikel zu KI-basierten Lernsystemen geschrieben haben, anschreiben und mich austauschen. Gesagt – getan: Eine E-Mail nach der anderen schrieb ich an Personen mit Expertise im Educational-Technology-Bereich und befragte diese zu KI-Verfahren in KI-basierten Systemen sowie zur Gestaltung und Einführung solcher Systeme am Arbeitsplatz. Neben hilfreichen Hinweisen und Bestätigung, dass der Markt in diesem Bereich tatsächlich intransparent sei, erhielt ich auch eine Einladung zu einer Fachtagung des Human Resource- und Corporate Learning Clusters.

abgedunkelter Veranstaltungstraum mit gedeckten Tischen und Stühlen, Leinwand zeigt Präsentation
Fachveranstaltung des Human Resource- und Corporate Learning Clusters in Berlin © Euro-FH

Schnell war eine Idee ausgearbeitet, die in einem Abstract zusammengefasst und für die Teilnahme an der Fachtagung eingereicht wurde. Nach der Annahme konnte ich im Oktober 2023 nach Berlin reisen und mich mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis zu KI-basierten Lernsystemen und über meine Forschungsidee sowie meine Fortschritte austauschen. Neben den vielen spannenden Kontakten, die ich knüpfen durfte, ergab sich auch die Möglichkeit, einen Beitrag über KI in der Personalentwicklung für ein Sammelband zum Thema: "Future Skills in HR-Management und Corporate Learning: Neue Perspektiven durch Analytics, EdTech und KI" beizusteuern. Nur: Wo sollte ich da anfangen – und vor allem: mit welchen Daten?

Kooperation zahlt sich aus

Ungefähr zur gleichen Zeit bekam ich eine Anfrage von einer Kollegin aus dem Fachbereich 1 "Arbeitswelt im Wandel", ob jemand aus unserer KI-Nachwuchsforschungsgruppe sich thematisch mit KI im Personalbereich beschäftige, denn es gäbe eine jährliche Fachveranstaltung "Personal Wissen Kompakt", die im November 2023 zum Thema "Fachkräftesicherung in der Transformation" stattfinden sollte. Hierfür würden noch Workshop-Themen gesucht. Da das Thema sehr gut passte und ich die Chance nutzen wollte mit Human Resource Management-Fachleuten, Führungskräften, Beraterinnen und Beratern sowie Interessenvertretungen zum Thema KI in der Personalentwicklung zu diskutieren, sagte ich schnell zu. Insgesamt war das Interesse am Thema groß, und so tauschte ich mich in drei Gruppendiskussionsrunden mit insgesamt 46 Personen aus.

Schnappschuss: DASA-Veranstaltungsraum mit Publikum, hinten halten zwei Personen einen Vortrag
© Andreas Wahlbrink, BAuA

Dabei stellte ich zunächst eine fiktive Organisation vor, welche die Herausforderung hatte, in einer hochdynamischen und hochkomplexen Arbeitswelt im Jahr 2030 Fachkräfte zu sichern und zu erhalten. Um mit diesen Herausforderungen umgehen zu können, führte die fiktive Organisation ein KI-basiertes System in der Personalentwicklung ein, welches die aktuellen Kompetenzbedarfe im Unternehmen analysiert, neue Kompetenzprofile entwickelt, Beschäftigte für neue Jobrollen identifiziert sowie konkrete Entwicklungsmöglichkeiten erarbeitet und vorschlägt. Anschließend diskutierten die Fachleute, wer solche oder ähnliche KI-basierte Systeme im eigenen Unternehmen einsetzen würde und welche Gründe es dafür gäbe, welche Aufgaben die Personalentwicklung noch übernimmt, in welchen Bereichen KI wünschenswert und weniger wünschenswert ist, und welche Herausforderungen und Barrieren es für einen Einsatz von KI in der Personalentwicklung gibt.

Die Moral: keine Scheu!

Durch die Diskussion konnten insgesamt vier führende Themenbereiche herausgearbeitet werden: eine Veränderung von Rollen und Verantwortungen in der Personalentwicklung, positive Einflüsse durch KI-basierte Systeme, KI-Kompetenzbedarfe und Herausforderungen sowie offene (ethische) Fragestellungen. Diese spannenden Erkenntnisse konnte ich für den Beitrag im Sammelband nutzen und wichtige Implikationen für einen menschgerechten Einsatz KI-basierter Systeme in der Personalentwicklung ableiten. Der Beitrag ist mittlerweile fertig geschrieben und hat schon mehrere interne und herausgeberseitige Überarbeitungsschleifen hinter sich, sodass einer baldigen Online-Veröffentlichung (und zum Jahresende Printveröffentlichung) nichts im Wege stehen sollte. Mir hat diese Erfahrung gezeigt, dass es sich mehr als lohnt, seine eigene Unsicherheit zurückzustellen und Fachleute anzuschreiben und in den Austausch zu treten. Meist stößt man auf Gleichgesinnte, und vielleicht springt sogar der nächste eigene Beitrag auf einer Fachveranstaltung oder in einem Buch raus. Wichtig ist mir aber auch, dass so eine Arbeit durch verschiedene Menschen getragen wird. Deshalb geht an dieser Stelle ein besonderer Dank an meine Kolleginnen und Kollegen für die zahlreichen fachlichen Gespräche und ihre Unterstützung sowie an die BAuA, die es mir ermöglicht hat, an den Veranstaltungen teilzunehmen und somit den Buchbeitrag zu verfassen.

Zitiervorschlag

Klostermann, Marina, 2024. Ein Sprung ins kalte Wasser - Vom informellen Austausch über eine Einladung zu einer Fachtagung bis zu einem Beitrag in einem Sammelband: Wie alles begann … [online]. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Verfügbar unter: https://www.baua.de/DE/Forschung/Projektblogs/KI-Blog/Artikel/KI-kaltes-Wasser.html

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