Wenn technische Innovationen der forschungsbasierten Rechts- und Regelsetzung vorauseilen
Mit Vernetzung und interdisziplinärer Forschung gegen das Pacing-Problem: In der Nachwuchsforschungsgruppe KI betreiben wir Vorlauforschung, um einen Beitrag zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt im heranbrechenden KI-Zeitalter zu leisten. Ein Beitrag von Deniz Weißbrodt
Gemeinsam gegen das Pacing-Problem
KI-Technologien breiten sich rasant aus – auch in der Arbeitswelt (z. B. bei komplexen Steuerungssystemen, Gesichtserkennung oder medizinischer Diagnose/Datenauswertung). Die Erforschung der Auswirkungen von KI-Technologien auf Arbeitssysteme wird dadurch immer wichtiger. Trotzdem steht die Wissenschaft zur Sicherung und Ermöglichung humaner Arbeit in Verbindung mit KI-Systemen noch ganz am Anfang. Unser Ziel als Nachwuchsforschungsgruppe KI ist es, etwaige Risiken frühzeitig zu erkennen, aber auch Chancen der Technologie sichtbar zu machen und die Erkenntnisse für die wissenschaftliche Politikberatung aufzubereiten.
Die zeitliche Diskrepanz zwischen Technologieentwicklung und Regulation, wird unter dem Begriff "Pacing-Problem" beschrieben und ist eine große Herausforderung. In vielen Bereichen der Technik schreiten die Innovationen und die Verbreitung von Technologien schneller voran als die Gesetzgebung oder die Entwicklung von Regeln und Standards. Die aktuelle Situation im Bereich der KI ist allerdings besonders, da Vorschläge zur Regulation und Normung von KI zügig vorgelegt werden und in diesen mit Definitionen, Konstrukten und Konzepten gearbeitet werden muss, die wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt sind. Ein gutes Beispiel aus der Praxis ist der Chatbot ChatGPT der Firma OpenAI. Es ist ein auf einem mächtigen Sprachmodell basierendes Dialogsystemzur Textverarbeitung und -generation. Es stößt zurzeit auf sehr großes Interesse, da es die Textproduktion im Arbeitsalltag möglicherweise sehr verändern kann. Microsoft kündigt bereits eine Übernahme in seine Plattformen an, und Google, wie auch weitere Wettbewerber wollen vergleichbare Produkte ebenfalls bald auf den Markt bringen.
Wo KI antwortet, entstehen neue Fragen
Die Antwort auf die Frage nach der BAuA klingt zunächst recht überzeugend. Sie gibt das Aufgabenprofil allerdings nicht hinreichend vollständig, konkret und ausgewogen wieder. Die offiziell richtige Aufgabenbeschreibung ließe sich jedoch auch für jedermann im Internet finden.
Frage: Kannst du daraus ein Gedicht machen?
ChatGPT:
"Die BAuA beschützt uns am Arbeitsplatz,
Forscht und berät, damit es uns nicht schadet.
Sie sorgt dafür, dass wir gesund bleiben,
Und gibt uns Empfehlungen, damit wir nicht leiden.
Ihre Aufgabe ist es, uns zu schützen,
Vor Gesundheitsgefahren, die uns betrüben.
Sie kümmert sich um Arbeitssicherheit,
Damit wir auch in Zukunft gesundheitlich fit."
Frage: Geht es auch als Haiku?
ChatGPT:
"BAuA schützt uns am Arbeitsplatz,
Gesundheit und Sicherheit,
Empfehlungen gibt sie."
Solche kleinen Experimente machen natürlich Spaß und geben einen Ausblick darauf, was dank KI vielleicht in naher Zukunft möglich sein wird. Trotzdem darf die kritische Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Algorithmen und der Funktionsweise von KI nicht fehlen. Sehr leicht werden eventuelle Probleme identifiziert und Fragen beantwortet, bei denen anwendende Personen nicht mehr in der Lage sind diese hinsichtlich ihrer Qualität zu prüfen. Für diese kritische Auseinandersetzung sollten u. a. Fragestellungen wie die Folgenden bedacht werden.
Darf ich die entstandenen Texte ohne Kennzeichnung als meine eigenen verwenden? Wie vertrauensvoll ist der Chatbot? Stimmen die Fachwörter alle? Darf ich ihn bei meiner Arbeit verwenden? Was geschieht mit meinen Daten? Ist die benötigte Serverleistung nachhaltig? Wie berichte ich darüber, sodass keine Vermenschlichung stattfindet? Und viele weitere Fragen ...
Dennoch verbreitet sich die Technologie bereits, die Regulation (z. B. Zulässigkeit der Nutzung von ChatGPT für die Erstellung wissenschaftlicher Abschlussarbeiten) folgt ihr nach bzw. muss schnell geschehen, obwohl wissenschaftliche Ergebnisse fehlen (Pacing-Problem).
Frühjahrskongress der GfA
Es ist wichtig, nun zügig und fundiert wissenschaftliche Erkenntnisse zu KI und den übergeordneten Themen, wie Einsatzmöglichkeiten, Technikfolgenabschätzung, Möglichkeiten der Nutzung von KI in der Arbeitswelt, zu generieren und sowohl für die Politikberatung als auch den Transfer in die Öffentlichkeit zu nutzen.
Deshalb diskutieren wir innovative Ideen für die Definition, Bewertung und Gestaltung menschengerechter KI im Rahmen eines Workshops auf dem Frühjahrskongress der GfA, der vom 1. bis 3. März 2023 stattfindet. Die Interdisziplinarität in der Arbeitswissenschaft birgt viel Potential – das bemerken wir schon jetzt an den angeregten Diskussionen in der Nachwuchsforschungsgruppe KI. Ein zentrales Thema des Workshops wird die Definition menschengerechter KI aus technischer sowie aus soziologischer und psychologischer Perspektive sein. Außerdem soll die kreative Auseinandersetzung mit dem Thema durch eine Methodik, die an die Zukunftswerkstatt angelehnt ist, gefördert werden. So wollen wir innovative Sichtweisen anregen.
GfA-Next
Viele der genannten Themen sind interdisziplinär und werden in der wissenschaftlichen Community der Arbeitswissenschaft behandelt. Für den interdisziplinären Austausch ist die GfA eine wichtige Plattform. Gerade das Nachwuchsförderungsprojekt GfA-Next ist für unsere Nachwuchsforschungsgruppe interessant, da es sich besonders an junge Forscherinnen und Forscher richtet. Es bietet einen niedrigschwelligen Einstieg in die arbeitswissenschaftliche Gemeinschaft.
"Wir verstehen uns als Stimme des Nachwuchses und möchten damit den Anforderungen und Bedürfnissen junger Mitglieder ein stärkeres Gewicht innerhalb der GfA verleihen." GfA-NEXT.
Unsere BAuA-Kolleginnen Patricia Rosen und Dr. Britta Kirchhoff sorgen als Ansprechpartnerinnen für eine enge Vernetzung von BAuA und GfA-NEXT.
Ausblick
Das ist ein kleiner Einblick in die Themen, die uns beschäftigen. Da aber schon weitere Veranstaltungen anstehen, z. B. eine Marktüberwachungsveranstaltung, welche die BAuA am Standort Dortmund ausrichtet, gehen unsere Vorbereitungen weiter. Unser Anliegen ist es, mit Personen mit Expertise ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Sichtweisen zum Stellenwert und der Bedeutung von KI in der Arbeitswelt zu diskutieren.
Zitiervorschlag
Weißbrodt, Deniz, 2023: KI in der Arbeitswelt: Eine Variante des Pacing-Problems. In: Neues aus den Projekten [online]. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Verfügbar unter: https://www.baua.de/DE/Forschung/Projektblogs/Neues-aus-den-Projekten-Blog/Artikel/KI-Pacing-Problem-Blog.html