Arbeitsmedizinische Untersuchungen zur Belastung und Beanspruchung in der aluminiumpulverherstellenden Industrie

Aluminium ist mit einem Anteil von 8,3% das häufigste Metall bzw. das dritthäufigste Element der Erdkruste. Die günstigen physikalischen und chemischen Eigenschaften von Aluminium führen zu einem vielseitigen Einsatz dieses Werkstoffes in der Industrie.

Aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht liegen Beobachtungen aus den 40er Jahren vor, die darauf hinweisen, daß feinstes, nicht gefettetes Aluminiumpulver, der sogenannte Pyroschliff, unter ungünstigen arbeitshygienischen Bedingungen Lungenfibrosen verursachen kann. Diese auch als Aluminiumstaublunge bezeichnete Erkrankung kann unter Einhaltung der sozialrechtlichen Vorgaben in der Bundesrepublik Deutschland seit 1943 als Berufskrankheit anerkannt und entschädigt werden. Zusätzlich werden seit Anfang der 70er Jahre zentralnervöse Veränderungen im Sinne einer Demenz und Störungen des Knochenmineralhaushaltes als aluminiumbedingt kontrovers diskutiert. Ausgangspunkt dieser Diskussion waren Beobachtungen bei Dialysepatienten, denen durch verunreinigte Dialyseflüssigkeiten und durch einzelne Medikamente große Mengen Aluminium zugeführt wurden. In Abhängigkeit von der Aluminiumzufuhr wurden bei diesen Patienten gehäuft die sogenannte Dialyse-Enzephalopathie sowie eine Dialyse-Osteomalazie beobachtet. Des weiteren wurde in einigen Untersuchungen ein Zusammenhang zwischen einer ökologischen Aluminiumbelastung und dem Morbus Alzheimer gefunden. Dieser konnte jedoch bis heute wissenschaftlich nicht eindeutig belegt werden. Insbesondere die "Alzheimer Diskussion" der letzten Jahre führte dazu, daß u. a. auch neurologische Normabweichungen nach beruflicher Aluminiumbelastung ursächlich mit Aluminium in Verbindung gebracht wurden.

Ziel dieser Studie war es zum einen, die Aluminiumbelastung stark beruflich exponierter Probanden aus Arbeitsbereichen der Aluminiumpulverherstellung und -weiterverarbeitung zu quantifizieren und zum anderen die Beanspruchungsreaktion im Sinne einer toxischen Wirkung zu erfassen. Als Grundlage für die Bewertung der Individualwerte wurde zudem die ökologische Aluminiumbelastung von nicht beruflich exponierten Probanden in Blut und Urin erfaßt. Bei den Beanspruchungsuntersuchungen wurde der Einfluß von Aluminium auf die Lungenfunktion, die kognitive Leistungsfähigkeit und den Knochenmineralhaushalt gemessen.

Die Untersuchung erfolgte in Form einer Querschnittsstudie. Einbezogen wurden ein nicht beruflich aluminiumexponiertes Kollektiv (n = 50) und Personen aus dem Bereich der Aluminiumpulverindustrie (Kollektiv I: gesamt: n = 169, im einzelnen: Beschäftigte aus folgenden Arbeitsbereichen: Pulver n = 54, Paste n = 48, Büro n = 24, Instandhaltung n = 15, Labor n = 8, "Rest" n = 20; Kollektiv II: gesamt: n = 62, im einzelnen: aluminiumexponierte Beschäftigte n = 32 (Kollektiv IIa), Personen ohne berufliche Aluminiumexposition n = 30 (Kollektiv IIb)). Zur Bewertung der Aluminiumbelastung wurden die Aluminiumkonzentrationen in den Blut- und Urinproben mittels Graphitrohrofen-Atomabsorptionsspektrometrie analysiert. Die Aluminiumbeanspruchung wurde bei zwei strukturgleichen (u. a.: Alter, Geschlecht, Nationalität, Bildungsniveau) firmeninternen Unterkollektiven (Kollektiv IIa und Kollektiv IIb) verglichen. Hierzu wurden neben einer ausführlichen Anamneseerhebung, eine ganzkörperplethysmographische Lungenfunktionsprüfung, einzelne psychometrische Tests (die Subtests III, VI und IX des HAWIE, Trailmaking-Test, Syndrom-Kurztest, Daueraufmerksamkeitstest, Reaktionszeit), visuell evozierte Potentiale (P300) und eine Osteodensitometrie durchgeführt bzw. abgeleitet. Bei den exponierten Probanden wurde zudem eine Röntgenaufnahme der Thoraxorgane angefertigt. Die statistische Auswertung erfolgte mit dem t-Test und in den Fällen, in denen dieser nicht zulässig war (Variationskoeffizient > 33%, keine Normalverteilung) mit dem Mann-Whitney-Test. Als Maß für eine statistische Auffälligkeit wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit <= 5% festgelegt. Bei der Vielzahl von gleichwertigen offenen Fragen, die zu beantworten waren, wurde angesichts der damit verbundenen Einschränkung der Power bewußt auf eine alpha-Adjustierung verzichtet. Als Folge davon dürfen daher signifikante Testergebnisse nur deskriptiv im Sinne einer Hypothesengenerierung für weitere Untersuchungen gewertet werden. Bei der Hypothesenprüfung wurden soweit notwendig die beiden wichtigen außerberuflichen Confounder "Zigarettenrauchen" und "Alkoholkonsum" separat in die Risikoanalyse einbezogen.

Das Alter der beruflich im Bereich der Aluminiumpulverherstellung beschäftigten Probanden streute von 18 bis 62 Jahren bei einem Median von 32,5 Jahren (Kollektiv I) bzw. von 26 bis 60 Jahren bei einem Median von 42,5 Jahren (Kollektiv II). Die Nettobeschäftigungsdauer in dem Aluminiumpulverbetrieb betrug im Mittel (Median) in Kollektiv I 132 Monate (Range 1 - 528 Monate) und in Kollektiv II 169 Monate (Range 22 - 504 Monate).

Als wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen zur Belastungssituation waren im Vergleich zum Normalkollektiv (obere Normgrenze der Aluminiumkonzentration im Plasma 10 µg/l und im Urin 25 µg/l) erhöhte Aluminiumkonzentrationen bei den Personen im "Pulverbereich" zu beobachten (Kollektiv I: Plasma: Median 8,5 µg/l, Range 1,1 - 88,8 µg/l; Urin: Median 69,6 µg/l, Range 3,1 - 1476,8 µg/l; Kollektiv IIa: Plasma: Median 8,7 µg/l, Range 5,1 - 25,9 µg/l; Urin: Median 109,9 µg/l, Range 5,0 - 336,6 µg/l). Bei den übrigen Unterkollektiven waren die Aluminiumkonzentrationen im biologischen Material erheblich niedriger (z. B. Kollektiv IIb: Plasma: Median 4,3 µg/l, Range 1,6 - 7,1 µg/l; Urin: Median 7,6 µg/l, Range 2,6 - 73,8 µg/l). Eine statistisch signifikante Korrelation (p < 0,05) zwischen den Aluminiumkonzentrationen im Plasma und Urin errechnete sich nur für das gesamte Kollektiv I (r = 0,657), das Unterkollektiv der Beschäftigten aus dem Pulverbereich des Kollektives I (r = 0,745) und das exponierte Kollektiv IIa (r = 0,726).

Trotz der zum Teil erheblichen Aluminiumbelastung der Probanden des Kollektives IIa konnten bei diesen im Vergleich zu dem nicht aluminiumexponierten Kontrollkollektiv (Kollektiv IIb) in Abhängigkeit der Aluminiumexposition keine zentralnervösen Funktionseinbußen oder Störungen des Knochenmineralhaushaltes belegt werden. Auffallend war jedoch, daß unter Berücksichtigung des Rauchverhaltens die aluminiumpulverexponierten Probanden statistisch signifikant schlechtere Ergebnisse bei der Überprüfung einzelner dynamischer Atemvolumina (FEV1, MEF 25%) aufwiesen. Eine Aluminiumstaublunge wurde bei keinem der Probanden diagnostiziert.

Bei der zusammenfassenden Bewertung der Studienergebnisse ist unter methodischen Gesichtspunkten insbesondere auf die Problematik der Mehrfachanwendung von Tests auf den selben Datenkörper (Kollektiv II) hinzuweisen. Da jedoch im vorliegenden Fall zum einen von der Belastungsseite (Dauer, Länge und Höhe der Exposition) ein hochbelastetes und gut untersuchtes Kollektiv zur Verfügung stand und zum anderen eine Vielzahl von gleichwertigen offenen Fragen zu beantworten waren, schien insbesonders unter Berücksichtigung der relativ kleinen Fallzahlen ein Verzicht auf eine alpha-Adjustierung das einzig sinnvolle Vorgehen. Unter Einbeziehung der internationalen Literatur weisen die ermittelten, expositionsabhängigen Unterschiede einzelner dynamischer Atemvolumina nicht primär auf Aluminium als schädigendes Agens sondern auf die allgemeine Staubbelastung an den Arbeitsplätzen hin. Weitere Untersuchungen sind aufgrund dieser Resultate erforderlich. Der fehlende Nachweis von aluminiuminduzierten Lungenfibrosen in dem untersuchten Kollektiv IIa, wie sie bereits mehrfach bei der Herstellung von feinstem ungefetteten Aluminiumpulver (Pyroschliff) beobachtet wurden, kann mit produktionstechnischen und arbeitshygienischen Faktoren erklärt werden.

Unter kritischer Würdigung der internationalen Literatur und der eigenen Resultate kann in dem untersuchten Expositionsbereich (Aluminiumpulver-Exposition; Aluminiumkonzentrationen im Urin < 350 µg/l bzw. im Plasma < 26 µg/l) eine berufliche Aluminiumexposition für die Entstehung zentralnervöser Veränderungen sowie Störungen des Knochenmineralhaushaltes derzeit nicht als belegt angesehen werden.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß feinstes Aluminiumpulver bei hinreichender Exposition Lungenfibrosen verursachen kann; ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer chronischen Aluminiumexposition und anderen Erkrankungen ist jedoch bei dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht bewiesen.

Bibliografische Angaben

Titel:  Arbeitsmedizinische Untersuchungen zur Belastung und Beanspruchung in der aluminiumpulverherstellenden Industrie. 

1. Auflage.  Bremerhaven:  Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH, 1994. 
(Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin: Sonderschrift , S 8)

ISBN: 3-89429-551-1, Seiten: 224, Preis: 19,50 EUR, Papier

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