Gesundheitsschäden bei ehemals HCH-(Hexachlorcyclohexan-)exponierten Chemiewerkern der Insektizidproduktion
Es wird über das gesundheitliche Schicksal von 60 Chemiearbeitern berichtet, die früher (zumeist bis 1984) im Bereich der HCH-Herstellung und -Weiterverarbeitung tätig waren und bei denen 1979, also zur Zeit der noch laufenden Exposition, im Rahmen eines Forschungsprojektes hohe Konzentrationen an a-, b- und g-HCH im Blut nachgewiesen worden waren. Aus dieser Gruppe waren bis Ende des Jahres 2001 16 Mitglieder verstorben, 8 an einem Krebsleiden, 7 an einem arteriosklerotischen Gefäßschaden, darunter 4 Herzinfarkte. Der sechzehnte Todesfall trat durch einen postoperativen Mesenterialinfarkt mit nachfolgender Candidasepsis ein. Autoptisch zeigte sich eine generalisierte verkalkend-ulzeröse Arteriosklerose mit besonderem Befall der Aorta. Bei 6 lebenden Probanden liegt ebenfalls ein Krebsleiden vor, bei 13 eine Erkrankung auf dem Boden eines arteriosklerotischen Gefäßschadens.
In 23 Fällen waren in der Krankheitsanamnese Hautreaktionen zu vermerken, dies vorwiegend in Form wiederkehrend auftretender papuloerythematöser Ausschläge.
Etwa 80 % der Probanden gaben psychonervale Krankheitserscheinungen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen des gesundheitlichen Befindens an. Innerbetriebliche Vergleiche weisen in diesen Fällen dem Beta-HCH eine ursächliche Bedeutung zu und lassen vermuten, dass der Schwellenwert für den Eintritt solcher Störungen in einem relativ niedrigen Bereich (zwischen 20 und 60 µg/l Blutserum) liegt.
Weitere Reanalysen der damals ermittelten Laborwerte lassen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Beta- und Gesamt-HCH einerseits und Gesamt-Cholesterin und Triglyceriden andererseits erkennen.
Speziell bei den insgesamt 20 registrierten Erkrankungsfällen aus dem arteriosklerotischen Formenkreis hatten im Vergleich zu den übrigen Mitgliedern der Studiengruppe 1979 deutlich erhöhte Blutwerte sowohl an Beta-HCH als auch an Cholesterin und Triglyceriden vorgelegen. Dabei zeigt sich, dass Blutbelastungen mit Beta-HCH in höheren Bereichen zu einer Erhöhung auch der Lipidwerte führen (bedingte Wahrscheinlichkeit für Cholesterin = 78 %), dies mit der Folge einer entsprechenden Steigerung auch des Risikos an arteriosklerotischen Erkrankungen.
Eine zusätzliche unmittelbare Schädigung der Kreislauforgane durch HCH insgesamt, speziell durch Beta-HCH, wird erörtert.
In 19 Fällen waren 1979 in der Studiengruppe Funktionsstörungen der Leber (erhöhte Werte für y-GT) festgestellt worden. Die Häufigkeitsverteilung solcher Befunde spricht auch in diesem Fall für Abhängigkeiten von Belastungen mit Beta-HCH.
Die Gesamtsterblichkeit übersteigt mit einer SMR von 1,17 nur leicht diejenige der männlichen Allgemeinbevölkerung der Bundesrepublik. Der Befund ist dennoch bemerkenswert, da es sich bei dem hier betrachteten Personenkreis um ein 1979 in gesundheitlicher Hinsicht ausgesprochen positiv selektiertes Kollektiv gehandelt hat. Für Todesfälle an bösartigen Tumoren (ICD--International Classification of Diseases 9, 140-199) ergibt sich im Vergleich mit der männlichen Bevölkerung der Bundesrepublik eine SMR eben oberhalb der Verdopplungsrate (2,029, CI 90% = 1,01-3,66). Dieser Befund spricht für eine vom Arbeitsplatz ausgehende krebserzeugende Wirkung, ohne dass eine konkrete Aussage über die spezielle Ursache möglich ist. Die hier auftretende Befundkonstellation legt allerdings den Verdacht einer maßgeblich mitwirkenden Ursache des Beta-HCH nahe. Unabhängig hiervon ist dieser Chemikalie jedoch die Bedeutung eines Indikators des vom Arbeitsplatz ausgehenden erhöhten Krebsrisikos beizumessen.
Unter gleichzeitiger Auswertung nachträglich erhobener Befunde geben die vorliegenden Daten die Möglichkeit zu Betrachtungen über den Ablauf der Aufnahme des Beta-HCH während der Exposition sowie über das Zusammenwirken mit TCDD bei der Verursachung arteriosklerotischer Erkrankungen.
Die durchschnittliche Aufnahmerate ("Jahresdosis") des Beta-HCH beträgt bei der Studiengruppe zwischen 29 und 39 µg/l Serum/Jahr, sie ist besonders groß am Anfang der Exposition und übersteigt in dieser Zeit die mit einer Aufnahmekinetik erster Ordnung bestimmbaren Grenzen. Abhängigkeiten bestehen auch vom Lebensalter.
TCDD erweist sich als mitwirkender Risikofaktor bei der Verursachung sklerotischer Gefäßschäden.
Zusammengefasst ergibt sich aus diesen Nachuntersuchungen, dass ein Großteil der aufgetretenen Krankheitserscheinungen ursächlich mit den Belastungen an Beta-HCH in Zusammenhang steht. Es handelt sich bei dieser Chemikalie um eine für den Menschen toxische Substanz mit speziellen Auswirkungen auf das Zentralnervensystem sowie auf den Fettstoffwechsel, letzteres mit der Folge einer Erhöhung des Risikos arteriosklerotischer Erkrankungen. Begleiterscheinungen sind Hautreaktionen und Leberfunktionsstörungen. Die Möglichkeit einer das Krebsrisiko steigernden Eigenschaft wird erörtert.
Bibliografische Angaben
Titel : Gesundheitsschäden bei ehemals HCH-(Hexachlorcyclohexan-)exponierten Chemiewerkern der Insektizidproduktion.
1. Auflage .
Bremerhaven:
Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH, 2004.
(Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sonderschrift
, S 79)
ISBN: 3-86509-032-X, Seiten: 72, Papier
vergriffen