Bedeutung von In-vitro-Methoden zur Beurteilung der chronischen Toxizität und Karzinogenität von Nanomaterialien, Feinstäuben und Fasern
Der Schwerpunkt der durchgeführten Literaturauswertungen lag auf der Analyse der Aussagekraft von In-vitro-Gentoxizitätstests in Relation zur Karzinogenität atembarer faserförmiger und granulärer Stäube gemäß Epidemiologie und Langzeit-Tierversuchen. Zur Interpretation der Befunde waren auch einige sonstige Daten zur Toxizität der Stoffe zu berücksichtigen. Die Auswertung der In-vivo-Daten legte es nahe, die Stäube in drei Potenzklassen der karzinogenen Wirkungsstärke einzuteilen. Für nahezu alle Staubarten (z. B. Dieselruß, SiO2 kristallin und amorph, TiO2 fein und ultrafein, Industrieruß fein und ultrafein, Eisenoxid fein und ultrafein), die in In-vitro-Gentoxizitätstests an Säugetierzellen untersucht wurden, waren in manchen Tests dabei auch positive Ergebnisse ("Effekte") festzustellen. Insgesamt lag der Anteil positiver Befunde unter den In-vitro-Tests bei etwas mehr als der Hälfte. Für faserförmige Stäube wurden am konsistentesten positive Befunde erhalten (zirka 70 %). Jedoch ist über alle Stäube und Studien hinweg keine klare Korrelation der Wahrscheinlichkeit positiver In-vitro-Befunde mit den In-vivo-Potenzklassen zu finden. Die Auswertung von 179 Datensätzen zu "GBS, Nanomaterialien und sonstige Stäube" zeigt eher einen statistischen Zusammenhang mit der Art (öffentlich/privat) des Auftraggebers oder Labors als mit chemisch-physikalischen Partikeleigenschaften. Die Beurteilung von Sensitivität und Spezifität der In-vitro-Methoden hängt stark davon ab, wie man die In-vivo-Daten bewertet bzw. auf welche Referenzinformation man sich bezieht. Nahezu alle betrachteten Staubarten haben sich in mindestens einem In-vivo-Testsystem als karzinogen gezeigt, sofern sie untersucht wurden. Legt man diese Befunde als valide - d. h. als Referenz "in Wahrheit positiv" - zugrunde, dann entspricht der Anteil von rund 60 % positiven Ergebnissen innerhalb aller ausgewerteten In-vitro-Tests annähernd der "Sensitivität" der In-vitro-Methoden; das heißt, die Sensitivität liegt dann bei ungefähr 60 % (im Durchschnitt aller Testmodelle und Stoffarten). Die Spezifität lässt sich nicht sinnvoll ermitteln, weil keine geeigneten In-vivo-Daten vorliegen, welche eine krebserzeugende Wirkung hinreichend sicher ausschließen. Für fast alle untersuchten Staubarten gibt es jedoch in der Literatur Zweifel an der Relevanz der vorhandenen In-vivo-Informationen für heutige Arbeitsplatzbedingungen. Solche Zweifel werden, z. B. wegen eines so genannten Overloads, für (Nano-)Materialien vom GBS-Typ besonders verbreitet geäußert. Zumindest im Sinne einer möglichen Wirkungsschwelle sind solche Zweifel aber auch für grundsätzlich als krebserzeugend anerkannte Stoffe wie Nickelverbindungen, Quarz, Dieselruß und Chrysotilasbest veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund werden im vorliegenden Bericht die Bedeutung statistischer Signifikanz sowie Vorschläge für weiterführende Versuche diskutiert. In Anbetracht der Datenlage und der Schwere einer Krebserkrankung ist es verantwortungsbewusst, die vorliegenden Effektbefunde bei Ratten und bei historischen Expositionen in der Epidemiologie zum Maßstab des Handelns auch bei niedrigeren Expositionshöhen zu machen, in Form einer Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellenwert.
Bibliografische Angaben
Titel: Bedeutung von In-vitro-Methoden zur Beurteilung der chronischen Toxizität und Karzinogenität von Nanomaterialien, Feinstäuben und Fasern.
1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2011. Seiten: 364, Projektnummer: F 2043, PDF-Datei